Die Geschichte von Kinaesthetics

Im Folgenden wird ein kleiner historischer Überblick über die inhaltliche und unternehmerische Entwicklung von Kinaesthetics gegeben.

Die Anfänge (–1980)

Der Begriff Kinaesthetics wurde von den beiden Amerikanern Frank Hatch (*1940) und Lenny Maietta (*1950) im Laufe der 70er-Jahre als Kunstwort geschaffen. Es sollte die Lehre einer bewussten und differenzierten Bewegung bzw. Bewegungswahrnehmung und -steuerung bezeichnen, mit einer Anspielung auf die Ästhetik, die „Wissenschaft vom Schönen“ (seit A. G. Baumgarten, um 1750).

F. Hatch hatte eine Tanzausbildung absolviert und beim Verhaltenskybernetiker K. U. Smith (1907–1994, University of Wisconsin, Madison) studiert und promoviert. Er teilte sein Interesse für die Bedeutung und Beschreibung der menschlichen Bewegung mit seiner Lebensgefährtin L. Maietta, die in klinischer Psychologie promoviert hatte (Fielding Institute Santa Barbara, California). Auf diesen Grundlagen schufen sie zusammen mit John Graham (*1933) zu Beginn der 70er-Jahre ein Konzept, das sich unter der Bezeichnung „Gentle Dance“ mit der Suche nach einer natürlichen, geschmeidigen und gesunden Bewegung im Alltag beschäftigte.

Gegen Ende der 70er-Jahre entwickelten F. Hatch und L. Maietta die Grundlagen von Kinaesthetics. Im Zentrum stand die Idee einer systematischen Beschreibung der Qualitätsunterschiede, die jedem Menschen bei seinen Bewegungen in alltäglichen Aktivitäten erfahrbar sind. Eine zweite Leitfrage ihrer Forschungen betraf die Bedeutung der Bewegungsentwicklung für die gesamte Entwicklung und Gesundheit eines Menschen. Dabei interessierte besonders die Frage, wie Menschen Bewegungsmuster lernen und welche Bedeutung dabei die Bewegungsinteraktion mit anderen Menschen hat.

Die Entwicklung des Konzeptsystems und erster Programme (1980–1992)

Seit den 80er-Jahren boten F. Hatch, L. Maietta und J. Graham in Deutschland und in der Schweiz Kurse und Seminare zum Thema Bewegung an. Da die subjektive Erfahrung einen Ausgangspunkt ihrer Forschungen darstellt, bezogen sie von Anfang an die TeilnehmerInnen ihrer Kurse in die Entwicklung ihrer Konzepte ein. Zu Beginn stießen ihre Betrachtungswinkel v. a. bei Pflegefachkräften auf großes Interesse. Durch diese Zusammenarbeit verdichtete sich die Beschreibung der erfahrbaren Bewegungsunterschiede zu einem System von sechs Konzepten. Zugleich wurde ein Programm „Kinästhetik in der Pflege“ entwickelt. Diese Erkenntnisse wurden später auch in Buchform der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (F. Hatch, L. Maietta, S. Schmidt: „Kinästhetik – Interaktion durch Berührung und Bewegung in der Krankenpflege“, 1992).

Das Programm „Infant Handling“ bildete einen Forschungsschwerpunkt von L. Maietta und F. Hatch. Zusammen mit Kleinkinder-Pflegefachkräften entwickelten sie einen Kinaesthetics-Kurs, der unter dem Aspekt der Bewegung und Entwicklung die spezifischen Gegebenheiten der Kleinkinderpflege berücksichtigte.

Einen dritten Ast bildete schon in den 80er-Jahren das Programm „Kreatives Lernen“, das sich mit der Bedeutung der Bewegung für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit beschäftigte. Verschiedene Personen unterstützten in dieser Phase die inhaltliche und organisatorische Entwicklung von Kinaesthetics in besonderem Maße und wurden oft auch in die Ausbildungstätigkeit einbezogen. Wichtige Persönlichkeiten in dieser Anfangsphase waren nebst den Begründern Suzanne Schmidt, Christel Bienstein, Heidi Bauder, Rosmarie Suter u. a. m. Die damaligen Beteiligten waren im „Verein für Kinästhetik“ organisiert. Dieser Verein organisierte die Bildungsanlässe und veröffentlichte das „Kinästhetik Bulletin“, eine Zeitschrift, die einige Jahre lang regelmäßig erschien.

Der Aufbau einer Bildungsorganisation (1992–2001)

Gegen Ende der 80er-Jahre wurde die Nachfrage nach Kinaesthetics-Kursen immer größer. Aus diesem Grund wurden zu Beginn der 90er-Jahre die ersten Kinaesthetics-TrainerInnen offiziell ausgebildet und berechtigt, in Kooperation mit der damaligen IfK AG („Institut für Kinästhetik“, Aarau) Kurse anzubieten. In der Folge wurde Kinaesthetics zu einem Bildungssystem ausgebaut, das einerseits eine mehrstufige TrainerInnen-Ausbildung in verschiedenen Programmen anbot und so die Nachfrage nach Basiskursen auf verschiedenen Niveaus abdeckte. Andererseits garantierte die enge Kooperation der TrainerInnen mit den Begründern und der IfK AG die inhaltliche Weiter- und Qualitätsentwicklung von Kinaesthetics. Die Bedeutung und Wertschätzung dieser gemeinsamen Weiterentwicklung spiegelt sich auch darin, dass in all diesen Jahren – mit wenigen Ausnahmen – die Kinaesthetics-TrainerInnen konstant mit der IfK AG zusammenarbeiteten.

Im Jahr 1998 veröffentlichten F. Hatch und L. Maietta den aktuellen Stand der Erkenntnisse im Buch „Kinästhetik – Gesundheitsentwicklung und Menschliche Funktionen“. In dieser Entwicklungsphase von Kinaesthetics entstanden auch die ersten großen Schulungsprojekte in Kliniken, Pflege- und Behindertenheimen. Diese Projekte zeigten auf, dass Kinaesthetics nicht nur für die Entwicklung der Bewegungskompetenz des Einzelnen wertvoll ist, sondern auch auf allen Ebenen einer Organisation positive Wirkungen hat.

Die systematische Curriculumentwicklung (2001–2005)

Der administrative Aufwand und die Anforderungen an die inhaltliche Weiterentwicklung hatten sich in den 90er-Jahren kontinuierlich erhöht. Dies erforderte eine neue Organisations- und Führungsstruktur von Kinaesthetics. Mit der Gründung des „European Institute for Human Development“ (EIHD) wurde die Führung erstmals auf verschiedene Personen übertragen. Dank diesen Anpassungen wurden sowohl inhaltlich wie auch organisatorisch viele Innovationen und Optimierungen in die Wege geleitet. Die neue Organisationsform ermöglichte es, dass Themen wie die Curriculumentwicklung in den verschiedenen Programmen, die Entwicklung von Kurs- und Ausbildungsunterlagen sowie die Methodik und Didaktik verstärkt Schwerpunkte des Kinaesthetics-Feldforschungsprozesses wurden. Fast ein Dutzend Kinaesthetics-AusbilderInnen wurde in dieser Zeit ausgebildet, was gewährleistete, dass die steigende Nachfrage nach TrainerInnen-Ausbildungen befriedigt werden konnte. Im Jahr 2004 veröffentlichten L. Maietta und F. Hatch das Buch „Kinaesthetics Infant Handling“. Zu dieser Zeit umfasste Kinaesthetics in Europa ca. 800 TrainerInnen, die jährlich mit ca. 30'000 KursteilnehmerInnen in gemeinsamen Bewegungserfahrungen lernten.

Das europäische Kinaesthetics-Netzwerk (ab 2006)

Im Jahr 2005 zeigte sich, dass eine zentral geführte Organisation den Ansprüchen der TrainerInnen und des Marktes nicht mehr gerecht werden konnte. Hinsichtlich der Frage, wie das Unternehmen auf diese Umstände reagieren sollte, entstanden auf der Führungsebene unüberbrückbare Differenzen. Um einen drohenden Zusammenbruch des gesamten Systems zu verhindern, entschlossen sich in der Folge innerhalb weniger Monate fast 95% der TrainerInnen, die Geschicke von Kinaesthetics selbst in die Hand zu nehmen.

Sie schlossen sich zu einem Netzwerk mit dezentral geführten Länderorganisationen und einer paritätisch geführten Rahmenorganisation, der „European Kinaesthetics Association“ (EKA), zusammen. Durch diesen Schritt, der leider von den Begründern von Kinaesthetics nicht mitgetragen wurde, gelang es nicht nur, das Unternehmen und bewährte Strukturen zu retten, sondern auch das Angebot auszuweiten und neue Märkte zu erschließen. Beim Aufbau der neuen Netzwerkstruktur wurde besonders darauf geachtet, dass weiterhin – nach dem „urkinästhetischen“ Grundsatz des gemeinsamen Forschens – die gemeinsame inhaltliche und qualitative Weiterentwicklung von Kinaesthetics stattfinden kann.

Im neuen Rahmen erschien 2006 das Buch „Praxisbuch Kinaesthetics“ von M. Asmussen. Seit Januar 2007 erscheint viermal jährlich „lebensqualität“, die Fachzeitschrift für Kinaesthetics.

Die aktuelle Organisation von Kinaesthetics wird auf dem Infoblatt „Das europäische Kinaesthetics-Netzwerk“ beschrieben.



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